70 Jahre nach dem Ende von Auschwitz

Solange ich lebe, werde ich darunter leiden, dass die deutsche Nation mit ihrer so achtenswerten Kultur zu den ungeheuerlichsten Menschheitsverbrechen fähig war. Selbst eine überzeugende Deutung des schrecklichen Kulturbruchs wäre nicht imstande, mein Herz und meinen Verstand zur Ruhe zu bringen. Da ist ein Bruch eingewebt in die Textur unserer nationalen Identität, der im Bewusstsein quälend lebendig bleibt.

So bekannte Bundespräsident Joachim Gauck am 27. Januar anläßlich des 70. Jahrestags der Befreiung des KZ Auschwitz.

KZ Auschwitz, Einfahrt
Auschwitz am 27. Januar 1945 nach der Befreiung. Im Vordergrund von den Wachmannschaften zurückgelassene Ausrüstungsgegenstände. Quelle: Bundesarchiv, B 285 Bild-04413 / Stanislaw Mucha / CC-BY-SA

Auschwitz war nur eines von vielen Arbeits- und Vernichtungslagern, die es durchaus nicht nur weit weg im Osten gab. Es fällt schwer, in Grausamkeitskategorien zu denken, aber das Schicksal von Walter Tobias und seiner Familie gehört für mich zu den unerträglichsten. Seine schwangere Frau Selma und die fünf Kinder wurden sogleich bei der Ankunft in Auschwitz ermordet, er selber für die Arbeit in den Buna-Werken selektiert. Fast zwei Jahre überlebte er im Arbeitslager Auschwitz-Monowitz – wahrscheinlich nur weil er als Handwerker für die Deutschen so nützlich war.

Wenige Tage, bevor die Russen Auschwitz befreiten, wurde Walter zurück nach Buchenwald verlegt. Auch hier selektierte man ihn für einen Arbeitseinsatz.

Aber auch die Befreiung Buchenwalds durch die Amerikaner sollte Walter nicht erleben, sondern wurde am Vortag auf einen weiteren Marsch gesetzt, diesmal Richtung Theresienstadt. Handwerkliche Fähigkeiten spielten auf diesem Todesmarsch keine Rolle mehr. Zehn Tage nach Kriegsende starb Walter in Theresienstadt an den Folgen sinnloser Gewalt, willkürlicher Ausbeutung und der totalen Negierung seiner Menschenwürde.

Und doch muss uns bewusst sein, dass das „nie wieder!” angesichts solcher Schicksale einfacher gesagt als getan ist, denn es gibt auch heute grausame, systematische Menschenrechtsverletzungen. Das mindeste, was wir tun können, ist Flüchtlingen Schutz zu bieten und das Recht auf Asyl wieder ernst zu nehmen, das ja nicht zuletzt aus den Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs heraus entwickelt wurde. Für Walter und seine Familie war ab einem bestimmten Zeitpunkt keine Flucht mehr möglich.

„Schützt und bewahrt die Mitmenschlichkeit. Schützt und bewahrt die Rechte eines jeden Menschen. Das sagen wir gerade in Zeiten, in denen wir uns in Deutschland erneut auf das Miteinander unterschiedlicher Kulturen und Religionen zu verständigen haben. Die Gemeinschaft, in der wir alle leben wollen, wird nur dort gedeihen, wo die Würde des Einzelnen geachtet wird und wo Solidarität gelebt wird,” schloß Joachim Gauck seine Rede vor dem Bundestag.