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Reise nach Lodz und Riga

Ehemalige Ottilienstraße Ghetto Lodz

Unser Sommerurlaub führte uns dieses Jahr durch Polen ins Baltikum. Wir besuchten natürlich auch die Gedenkstätten in Lodz und Riga.

In Lodz haben wir den letzten Weg von Albert Tobias nachvollzogen: von seiner Unterkunft in der ehemaligen Ottilienstraße im Ghetto von Lodz, über den Bahnhof Radegast zum Schloß Kulmhof, wo man neben dem gesprengten Gebäude noch die Stelle erkennen kann, wo die Gaswagen an die Rampe fuhren, bis ins Waldlager Kulmhof, wo mehrere 10.000 Opfer aus ganz Europa verscharrt wurden.

In Riga weiß man weit weniger über das genaue Schicksal der westeuropäischen Juden, die wie Julie Tobias und Gustav Tobias mit seiner Familie im Winter 1941/42 hierhin deportiert wurden. Das kleine Ghettomuseum ist noch im Entstehen begriffen. Derzeit wird ein typisches Holzhaus, wie es damals im Ghetto stand, rekonstruiert und mit typischen Einrichtungsgegenständen versehen. Der Bereich des damaligen Ghettos ist vielfach noch im damaligen Zustand erhalten, wird aber wahrscheinlich in den kommenden Jahren mehr und mehr verschwinden und der heutigen wachsenden Stadt Riga Platz machen.

Letzte Briefe

Postkarte an Julie
Postkarte von Albert an Julie, Quelle: Staatsarchiv Lodz, APL PSZ 2318 (L-20932 II) Bl. 1444

Aus dem Staatsarchiv Lodz haben wir jetzt Scans der Postkarten von Albert Tobias und seines letzten Briefs an die Lagerleitung vor dem Transport ins Vernichtungslager Kulmhof bekommen.

Am 6. Dezember 1941 schrieb er an seine Schwester Julie und wahrscheinlich an seinen Sohn Siegfried nach Mülheim. Die Postkarte wurde, wie so viele andere, wegen Überlastung des Postamtes nicht befördert. Seine Schwester hätte die Karte wahrscheinlich auch nicht mehr erreicht, denn sie wurde am 10./11. Dezember selber nach Riga deportiert. Siegfried war zu der Zeit als Rekrut in Aalborg/Dänemark stationiert, obwohl er als Halbjude gar nicht mehr hätte eingezogen werden dürfen.

Empfänger: „Fräulein Jula Tobias, Mülheim a.d. Ruhr, Auerstraße 23“
Absender: „Albert Tobias, Litzmannstadt/Ghetto, Ottilienstraße 8“
Datum: 6.12.41

Litzmannstadt 6. XII. 41
Meine liebe Jula und allerliebster [Herzchtügg?]
Persönlich konnte mich überzeugen und danke recht herzlich für die Grüße durch Herrn Lagerleiter Wolf und hab mich richtig gefreut endlich ein Lebenszeichen zu sehen, unterdessen habt ihr noch meine Adresse erhalten und hoffe ich, dass Ihr alle wohlauf seid, bin G.s.d. auch gesund. Fräulein Henle und Frau Mann hab auch schon getroffen, Bleibt mir nur gesund, dies ist mein einzige Sorge, grüßt und Küßt Euch herzinnig und bin euer Euch liebender Albert und Vati.
Schild und Brünell lassen grüßen.
Erwarte Briefe von Euch.

Dr. Kurt Wolff, Mitglied der Kölner Synagogengemeinde, war zum Leiter des Kölner Kollektivs I bestimmt worden, das eine Woche vor Alberts Transport von Köln nach Lodz deportiert worden war. In welcher Form er Albert Nachricht von seiner Schwester Julie übermitteln konnte, wissen wird nicht. Viel mehr als allgemeine Grußfloskeln waren nach den Zensurrichtlinien nicht erlaubt. Fräulein Henle und Frau Mann waren Freundinnen von Alberts Schwester Lina und Bruder Max. Mit Brünell ist wahrscheinlich Hertha Brünell gemeint, die mit ihrem Mann bis 1938 ein großes Konfektionswarengeschäft in Goch betrieben hatte. Ihr Mann war nach seiner Haft wegen Devisenvergehen nach Shanghai emigriert. Ihr und den beiden Kindern gelang die Flucht nicht mehr.

Der letzte Brief
Letzter Brief von Albert Tobias, Quelle: Staatsarchiv Lodz, APL PSZ 1289 (L-20932 II) Bl. 896

Am 30. April 1942 schreibt Albert Tobias eine Eingabe an die Kommission für Neueingesiedelte, da er eine Aufforderung zur Umsiedelung erhalten hat. Er bittet um Zurückstellung von diesem Transport, aber sein Gesuch wird abgelehnt und so wird er am 4. Mai 1942 ins Vernichtungslager Kulmhof deportiert.

Empfänger: „An die Kommission für Neueingesiedelte“
Absender: „Albert Tobias, Marysin, Block 19/4, Ottilienstraße 8“
Datum: Litzmannstadt, 30.4.42

Ich erhielt heute von der Ausweisungs-Kommission die Ausreise-Aufforderung für den 2. Mai.

Ich bin mit einer Arierin verheiratet gewesen, im April 1939 bin ich geschieden worden, in der Ehe sind 2 Söhne zur Welt gekommen im Alter von heute 20 + 23 Jahre, beide sicher im Arbeitsdienst gewesen und zur Zeit Soldaten im Felde, ich bitte aus diesem Grunde um Zurückstellung der Ausweisung.

Hochachtend Albert Tobias

Unten in der Mitte sieht man den Stempel von der Rückseite durchscheinen: ODMOWA – Abgelehnt

Atelier Güldenring

Julie Tobias 1939
Julie Tobias 1939

Das Foto von Julie Tobias hat zunächst viele Fragen aufgeworfen. Die ältere Schwester von Albert Tobias lebte in Mülheim an der Ruhr, aber die Aufnahme ist im Fotoatelier Güldenring in Solingen entstanden. Auf der Rückseite ist das Datum 19. Februar 1939 mit Bleistift notiert. Zu diesem Zeitpunkt war Albert gar nicht in Solingen, sondern stand kurz vor seiner Entlassung aus dem KZ Dachau. Inzwischen haben wir herausgefunden, dass Else Güldenring, die Ehefrau des Fotografen, eine geborene Carsch aus Mülheim war und die Schwester von Julies Freundin Adele Carsch.

Adele, die zusammen mit ihren beiden Schwestern nach Lodz deportiert wurde, schrieb im Dezember 1941 eine Postkarte an Julie nach Mülheim:

Liebe Julla! Nun gehen unzählige Karten von allen möglichen Leuten in die Heimat, und ich freue mich, dir nach dort schreiben zu können. Es geht uns soweit ganz gut, nur habe ich vergessen manches mitzunehmen; auch das, was wir immer bei Woolworth holten. Hoffentlich ist bei Dir noch alles in Ordnung.

(Staatsarchiv Lodz, APL, PSZ, Sign. 2221, L 20935, Blatt 603 und Blatt 604)

An der Bachstraße in Mülheim liegen vier Stolpersteine für die Familie Carsch.