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Postkarten aus Lodz

Aus der Archiveinheit Sig. 39/278/0/30/2318, Staatsarchiv Lodz

Neulich bin ich durch Zufall darüber gestolpert, dass die Postkarten aus dem Ghetto Lodz, die im Dezember 1941 geschrieben, aber nicht verschickt wurden, auf der Webseite des Staatsarchivs Lodz als Scans zugänglich gemacht wurden. Leider sind die etwa 20.000 erhaltenen Karten nicht indiziert, so dass man die mehr als 40.000 Scans tatsächlich von Hand durchsuchen muss.

Von einigen mir bereits bekannten Karten kannte ich die Archivsignatur, so dass ich die relevanten Bestände auf der polnischen Webseite ausfindig machen konnte: szukajwarchiwach.pl/39/278/0/30/str/4/15#tabJednostki. Hier sind es die Bestände 2316 bis 2323.

Die erste mir bis dato unbekannte Karte fand sich schnell. Sie war von Adolf Tobias an seinen Freund Heinrich David geschrieben worden. Adolf war ein Sohn von Tobias Tobias, genannt Theodor, aus Oberwambach. Theodor (1851-1921) und seine Frau Johanna Levy (1851-1914) liegen auf dem Jüdischen Friedhof Altenkirchen begraben. Ihre Kinder Thekla (* 21. Dezember 1882) und Adolf (*18. Juni 1889) hatten in Altenkirchen an der Marktstraße 14 die Metzgerei vom Vater übernommen. Im Gegensatz zu seinen Geschwistern war das mittlere Kind Max (* 22. Juli 1884) verheiratet und betrieb in Mayen ein Schuhgeschäft. Alle drei Geschwister blieben kinderlos.

Brücke über die Hohensteiner Straße, Ghetto Litzmannstadt. Quelle: Bundesarchiv, Bild 101I-133-0703-12 / Zermin / CC-BY-SA 3.0

Thekla und Adolf Tobias wurden Ende Oktober 1941 mit dem ersten Transport aus Köln zusammen mit 1000 Leidensgenossen nach Lodz „ausgesiedelt“. Sie lebten dort an der Hohensteiner Straße, die das Ghetto in zwei Teile teilte. Die Straße selber war nicht Teil des Ghettos und eine Fußgängerbrücke verband beide Seiten miteinander. Die Unterkünfte waren hoffnungslos überfüllt und oft teilten sich mehrere Familien eine Wohnung. Die Transporte aus dem Rheinland wurden zunächst als „Kollektiv“ gemeinsam untergebracht. Ob Adolf und Thekla wussten, dass ihr Cousin Albert Tobias mit dem zweiten Transport aus Köln ins Ghetto gekommen war, ist nicht bekannt, denn sie erwähnten sich nicht gegenseitig in den Postkarten, die sie in die Heimat schrieben.

Aus der Archiveinheit Sig. 39/278/0/30/2318, Staatsarchiv Lodz

Adolf Tobias schrieb am 7. Dezember 1941 an seinen Freund Heinrich David, einen Viehhändler aus Hamm an der Sieg, der zu dieser Zeit in Köln an der Maastrichter Straße 43 lebte:

„Lieber Freund, seit dem 23. Okt. bin ich hier, es geht mir und meiner Schwester gut, ich hoffe daß Ihr auch alle gesund seit [sic]. Wenn Du kannst schicke mir bitte etwas Geld, ich kann es sehr gut gebrauchen, wie geht es meinem Bruder Max und Schwägerin, grüße bitte selbige. Freundl. Grüße für Dich u. Deine Frau sowie Tochter Ilse. Dein Freund Adolf Tobias, Hohensteinerstr. 53/22“

Vorderseite // Rückseite

Heinrich David war nach der Pogromnacht mit seiner Frau Hedwig und Tochter Ilse nach Köln verzogen. Im Gegensatz zu zweien seiner Geschwister gelang ihm die Ausreise in die USA nicht. Alle drei wurden am 27. Juli 1942 nach Theresienstadt und am 28. September 1944 weiter nach Auschwitz deportiert, wo sie ermordet wurden.

Adolf Tobias starb am 18. November 1942 im Ghetto Lodz im Alter von nur 53 Jahren. Unzureichende Ernährung, mangelnde Hygiene und kaum medizinische Versorgung hatten zahlreiche Todesopfer zu Folge. Seine Schwester Thekla überlebte noch anderthalb Jahre im Ghetto und wurde am 12. Juli 1944 nach Chelmno verschleppt und ermordet. Bruder Max Tobias war mit seiner Frau Nelli Salomon zunächst in die Niederlande geflüchtet. Beide wurden Ende September 1942 von Westerbork nach Auschwitz deportiert und ermordet.


Aus der Archiveinheit Sig. 39/278/0/30/2321, Staatsarchiv Lodz

Eine weitere Karte, die ich bisher nur als Zitat aus der Ausstellung „Deportationen der Juden aus dem Rheinland im Herbst 1941 ins Ghetto Litzmannstadt (Lodz)“ kannte, war von Rosa Hillmann an Mally Eichberg, geb. Tobias nach Oberhausen geschrieben worden. Sie illustriert anschaulich die Panik, die die Deportierten angesichts des strengen Winters und der aussichtslosen Lage im Ghetto ergriff.

Abs.: Rifka Hillmann, Litzmannstadt Ghetto, Hohensteiner Str. 42/46 // An: Frau Mally Sara Eichberg, Oberhausen / Rhld, Nohlstr. 74 // 27.12.41

„Meine liebe, gute Frau Eichberg! Warum ich auf die vielen Karten an Sie immer noch ohne Nachricht bin, ist mir rätselhaft. Hoffentlich sind nur gesund. Eine Karte an Carsch und Sie kam leider zurück. Nun höre ich zu meinem großen Leidwesen, dass Carschs verreist sind. An Familie Hirsch, Sander, Katz, Benjamin, Jockels und Weissenberg habe separat geschrieben und um Geldsendung gebeten, niemand lässt etwas von sich hören. Hoffentlich haben C. was für uns hinterlassen, denn wir benötigen es sehr. Mein Mann liegt seit 14 Tagen an Lungenentzündung zu Bett, ich ebenfalls an Darm- und Gallenblasenentzündung, alles kostet sehr viel und wir haben ja nichts mitgenommen. An Familie Marx habe auch geschrieben. Ich bitte Sie sehr, verkaufen Sie was und senden uns Geld, jeder Betrag ist zulässig. Wie geht es Ihnen, liebe Frau Eichberg, wohnen Sie noch dort? Grüßen Sie Otti, W. und Frau Ros., alle sollen an uns denken. Ich kann unmöglich an jeden schreiben, die Geldverhältnisse erlauben es uns nicht. Grüßen Sie alle, alle Bekannten herzlich von uns, wir denken viel an alle. // Silvia ist auch nicht mehr in Mülheim. Wo sind Carschs?
Ist Marta noch in Mülheim? Horowitz und Herr Roth arbeiten, mein Mann liegt schwer krank. Antworten Sie bald auf Antwort-Karte, und wenn wir auch nicht schreiben, so geben Sie trotzdem Nachricht, ich bitte Sie sehr, sehr. Sagen Sie auch allen dort Bescheid. Von uns beiden die herzlichsten Grüße und Küsse, Ihre Rosa Hillmann.“

Vorderseite // Rückseite

Rosa Hillmann starb am 17. Juli 1942 im Alter von nur 45 Jahren im Ghetto. Ihr Mann Jakob überlebte den furchtbaren Ghettoalltag noch zwei Jahre. Am 9. Juli 1944 wurde im Ghetto seine  Todesbescheinigung ausgefüllt. Als Todesursache wurde dem gerade 50-Jährigen „akute Herzmuskelschwäche“ bescheinigt, eine typische Folge der jahrelangen Mangelernährung.

Mally Eichberg wurde am 21 Juli 1942 nach Theresienstadt deportiert und am 21. September desselben Jahres nach Treblinka verschleppt und ermordet. Im Februar wird für sie in Oberhausen ein Stolperstein verlegt.