Archiv der Kategorie: Berichte

#weremember Rolf Nathan

Eine Geschichte, die mich im letzten Jahr besonders beschäftigt hat, war die des kleinen Rolf Nathan, der im Alter von vier Jahren aus einem jüdischen Kinderheim in Köln nach Minsk deportiert und ermordet wurde. In der Vorbereitung zu Stolpersteinverlegungen in Ruppichteroth tauchte die Frage auf, ob seine Familie denn überhaupt in Frage käme, ob sie tatsächlich ihren letzten freiwilligen Wohnort in Ruppichteroth hatte. Warum war ihr Sohn noch in Köln, nachdem der Vater nach Palästina ausgewandert und die Mutter mit der kleinen Schwester nach Riga deportiert worden war?

Bekannt war, dass Rolfs Großvater Julius Nathan sich im Sammellager Much, wo man seit Juni 1941 die vorwiegend älteren Juden aus dem Kreis zusammenpferchte, widerständig verhalten hatte. Er wurde daraufhin ins KZ Buchenwald verschleppt, wo man ihn am 8. Juli 1942 um 7:35 Uhr angeblich „auf der Flucht“ erschoss. Er war 65 Jahre alt.

Sein Sohn Walter Nathan hatte am 27. Januar 1937 Ilse Stiebel aus Allendorf an der Lumda geheiratet. Am 24. November desselben Jahres kam Rolf Josef Nathan im städtischen Hospital von Siegburg zur Welt. Die Familie lebte bei Walters Vater Julius in Ruppichteroth. Mutter Ida war bereits 1936 verstorben.

Das Israelitische Kinderheim an der Lützowstraße in Köln. Foto: Sammlung Dieter Corbach

Nach dem Pogrom von 1938 wurde Walter nach Dachau deportiert, wo man ihn vom 15. bis 28. November festhielt. Ilse brachte am 11. Januar 1939 in Ruppichteroth Tochter Chana zur Welt. Am 11. April 1939 meldet Walter sich nach Köln, Severinstr. 228 ab und brachte seinen Sohn Rolf im jüdischen Kinderheim Lützowstr. 35-37 unter. Im Mai 1939 gelangte Walter mit einem Touristenvisum nach Palästina. Er hatte dafür beim britischen Konsulat 800 Reichsmark hinterlegen müssen. Fortan versuchte er verzweifelt seine Frau und die Kinder nachzuholen, was ihm aber aufgrund seines unsicheren Aufenthaltsstatus und fehlender finanzieller Sicherheiten nicht gelang.

Am 6. Dezember 1941 wurden Ilse und ihre Tochter Chana von Köln aus nach Riga deportiert. Sie hatten zuletzt in Ehrenfeld, Gutenbergstr. 66 gelebt. Wann genau die zweijährige Chana im Rigaer Ghetto zu Tode kam ist nicht bekannt. Ilse wurde am 9. August 1942 im KZ Stutthof bei Danzig ermordet.

Das jüdische Kinderheim in Köln wurde im Sommer 1942 aufgelöst, die Kinder – darunter Rolf Nathan – und die Erzieher*innen größtenteils nach Minsk deportiert und in Maly Trostinez ermordet.

Warum die Eltern ihren Sohn in die Obhut eines Kinderheims gegeben und Rolf allein in Köln zurückblieb, wurde erst durch die Erinnerungen von Walter Hess deutlich. Dessen Vater Oskar Hess und Walter Nathan waren Cousins. Walter Hess, der sechs Jahre älter als Rolf war, beschreibt in seinen Memoiren, dass der Kleine eine Behinderung hatte, die die Eltern viele Nerven kostete und eine gemeinsame Auswanderung erheblich erschwerte.

Die Erinnerungen von Walter Hess sind zeitlich nicht exakt, auch hat er Namen verändert – ob absichtlich oder weil sie mit der Zeit in seiner Erinnerung verblasst sind bleibt unklar. Er beschreibt hier an die Auswanderungsvorbereitungen von Walter Nathan Anfang 1939, die zu der Zeit stattfanden, als Chana geboren wurde, nicht Rolf. Dennoch spricht er hier offensichtlich von Rolf und darin wird auch die Erklärung liegen, warum der Junge schließlich im Israelitischen Kinderheim untergebracht wurde.

When their baby, Rolfe, was born the baby was not „all right“. His skin was brown and he had lots of black hair. He had large peculiar eyes and his face was all flat. And he cried all the time. Some people said that his crying was louder than the whistle of the train whose tracks rail on the other side of the highway. I could sometimes stop his crying with a stupid game. When he visited or I was at his house and he lay in his little crib I made believe that I was catching flies. „See Rolfe, see,“ and I would quickly whisk my hand through the air and then close my fingers into a fist. I would show him the fist then open my hand „see. All gone. It’s all gone.“ And I would do that over and over again and all the while I was doing it he would be quiet, fascinated, I guess, by the movement of my hands. The minute I stopped, his wailing would begin again. If I were at her house, Aunt Ruth [=Ilse Nathan] would say that I could not leave, I would have to stay all the time and entertain her boy. Then she would get me a piece of cake or a pink marzipan pig. Aunt Ruth was tall with black hair and very smooth white skin. She would say, „when Wolfgang [Walter Nathan] is gone you’ll come and stay with me. All right? Then I won’t have lost a Wolfgang, I’ll just have another Wolfgang. All right?“

The reason that Aunt Ruth’s Wolfgang was something of a joke in the town was that when the baby was crying so hard he would put it in the little cream colored carriage and wheel the baby right out on the highwav that ran in front of his house where all the people could see him. He wheeled it up and down the road till the baby was quiet and then he wheeled it some more till the baby was asleep. But the people all said, „what kind of a thing is that for a man to do, wheeling a carriage? That’s nothing for a man. Ruth doesn’t have anything else to do? Hmmm and hmmm.“ There was a lot of hmmming going on.

Anyway, it was because the baby was not „all right“ that they were not leaving Germany together. Because he was not „all right“ the Germans would not let the baby out of the country so it was that Wolfgang was going to leave by himself, leave Aunt Ruth and the baby, and then see what he could do to get them out of Germany from outside the country, but by the time that we left the country and that was two years later Aunt Ruth and the baby were still in
Ruppichteroth.

aus: Hess and Spier families papers (2016.461.1), United States Holocaust Memorial Museum Archives, Washington, DC.

Es wird Zeit, dass die Geschichte der Familie Nathan und ihr grausames Schicksal wieder in Erinnerung gerufen wird. Und die Stolpersteine würden an der Bröltalstraße 4 in Ruppichteroth genau an der richtigen Stelle liegen, denn hier war ihr letzter Lebensmittelpunkt.

Walter Nathan starb 1970 in Israel.

Ehrung von Horst Moog mit dem Obermayer German Jewish History Award

english version below

Am 22. Januar 2018 wurden in Berlin die 18. Obermayer Awards verliehen. Mit den German Jewish History Awards ehrt die amerikanische Stiftung jedes Jahr fünf deutsche Personen oder Gruppen, die sich ehrenamtlich um die Bewahrung der jüdischen Geschichte verdient gemacht haben. In diesem Jahr war Horst Moog aus Hamm an der Sieg unter den Preisträgern. Wir hatten ihn zusammen mit mehreren Familien, die ehemals aus Hamm stammten, für diesen Preis nominiert, unterstützt von Dr. Claudia Maria Arndt, Leiterin der Gedenkstätte „Landjuden an der Sieg“, und Pfarrer Holger Banse.

Wir danken Horst Moog für seinen Mut, seine Ausdauer und seine Anteilnahme am Schicksal der jüdischen Familien. Ferner danken wir der Obermayer Stiftung für die Anerkennung der Lebensleistung von Horst Moog. Herzlichen Glückwunsch auch an alle weiteren Preisträger.

Helga Wienand-Schmidt schrieb am 23. Januar für den Altenkirchener Kurier: „Im Berliner Abgeordnetenhaus fand abends die Verleihung der amerikanischen Obermayer-Stiftung statt die Menschen würdigt, die gegen das Vergessen des jüdischen Lebens in Stadt und Land kämpfen und vorbildlich ehrenamtlich wirken. Während die großen Medien aus Berlin und Paris zur deutsch-französischen Freundschaft berichteten, blieb diese Preisverleihung bislang unerwähnt. Natürlich passt so eine Würdigung von Menschen, die sich gegen Faschismus, Rassismus und gegen das Vergessen einsetzen, vielleicht nicht in die Welt der großen Nachrichtenagenturen – eigentlich schade!“

Deutschlandfunk Kultur sendete am 26. Januar einen Beitrag von Thomas Klatt über die Verleihung der Obermayer Awards, unter anderem mit O-Tönen von Horst Moog: „Und immer wieder tauchten Juden auf als Mitglieder im Vorstand. Und [das waren] die gleichen Leute, die sie am Schluss verjagt und gepeinigt haben, [die standen] vor den Nazijahren mit ihnen zusammen im Vereinsleben. Ich wollte das alles wieder zurückholen. Nämlich alle diese Leute, die das begangen haben, waren wieder ab 1945 in Amt und Würden. Und es ist ihnen nicht viel passiert. Und für das Unglück, das sie herbeigeführt haben, war das zu wenig. Und eigenartigerweise hat man nach dem Krieg so getan, als ob es nie Juden in unserem Ort gegeben hätt.“


On January 22, 2018 the 18th Obermayer Awards were presented at the Berlin Parliament. With the German Jewish History Awards the American Foundation honors five volunteers or groups every year, who made an outstanding contribution to preserve German Jewish history. This year Horst Moog of Hamm on Sieg was one of the awardees. We nominated him together with several families originating from Hamm, supported by Dr. Claudia Maria Arndt, head of the memorial site „Landjuden an der Sieg“, and pastor Holger Banse.

We thank Horst Moog for his courage, his persistance and his sympathy for the fate of the Jewish families. Furthermore we thank the Obermayer Foundation for the acknowledgement of the life-time achievement of Horst Moog. Congratulations as well go to all the other awardees.

Postkarten aus Lodz

Aus der Archiveinheit Sig. 39/278/0/30/2318, Staatsarchiv Lodz

Neulich bin ich durch Zufall darüber gestolpert, dass die Postkarten aus dem Ghetto Lodz, die im Dezember 1941 geschrieben, aber nicht verschickt wurden, auf der Webseite des Staatsarchivs Lodz als Scans zugänglich gemacht wurden. Leider sind die etwa 20.000 erhaltenen Karten nicht indiziert, so dass man die mehr als 40.000 Scans tatsächlich von Hand durchsuchen muss.

Von einigen mir bereits bekannten Karten kannte ich die Archivsignatur, so dass ich die relevanten Bestände auf der polnischen Webseite ausfindig machen konnte: szukajwarchiwach.pl/39/278/0/30/str/4/15#tabJednostki. Hier sind es die Bestände 2316 bis 2323.

Die erste mir bis dato unbekannte Karte fand sich schnell. Sie war von Adolf Tobias an seinen Freund Heinrich David geschrieben worden. Adolf war ein Sohn von Tobias Tobias, genannt Theodor, aus Oberwambach. Theodor (1851-1921) und seine Frau Johanna Levy (1851-1914) liegen auf dem Jüdischen Friedhof Altenkirchen begraben. Ihre Kinder Thekla (* 21. Dezember 1882) und Adolf (*18. Juni 1889) hatten in Altenkirchen an der Marktstraße 14 die Metzgerei vom Vater übernommen. Im Gegensatz zu seinen Geschwistern war das mittlere Kind Max (* 22. Juli 1884) verheiratet und betrieb in Mayen ein Schuhgeschäft. Alle drei Geschwister blieben kinderlos.

Brücke über die Hohensteiner Straße, Ghetto Litzmannstadt. Quelle: Bundesarchiv, Bild 101I-133-0703-12 / Zermin / CC-BY-SA 3.0

Thekla und Adolf Tobias wurden Ende Oktober 1941 mit dem ersten Transport aus Köln zusammen mit 1000 Leidensgenossen nach Lodz „ausgesiedelt“. Sie lebten dort an der Hohensteiner Straße, die das Ghetto in zwei Teile teilte. Die Straße selber war nicht Teil des Ghettos und eine Fußgängerbrücke verband beide Seiten miteinander. Die Unterkünfte waren hoffnungslos überfüllt und oft teilten sich mehrere Familien eine Wohnung. Die Transporte aus dem Rheinland wurden zunächst als „Kollektiv“ gemeinsam untergebracht. Ob Adolf und Thekla wussten, dass ihr Cousin Albert Tobias mit dem zweiten Transport aus Köln ins Ghetto gekommen war, ist nicht bekannt, denn sie erwähnten sich nicht gegenseitig in den Postkarten, die sie in die Heimat schrieben.

Aus der Archiveinheit Sig. 39/278/0/30/2318, Staatsarchiv Lodz

Adolf Tobias schrieb am 7. Dezember 1941 an seinen Freund Heinrich David, einen Viehhändler aus Hamm an der Sieg, der zu dieser Zeit in Köln an der Maastrichter Straße 43 lebte:

„Lieber Freund, seit dem 23. Okt. bin ich hier, es geht mir und meiner Schwester gut, ich hoffe daß Ihr auch alle gesund seit [sic]. Wenn Du kannst schicke mir bitte etwas Geld, ich kann es sehr gut gebrauchen, wie geht es meinem Bruder Max und Schwägerin, grüße bitte selbige. Freundl. Grüße für Dich u. Deine Frau sowie Tochter Ilse. Dein Freund Adolf Tobias, Hohensteinerstr. 53/22“

Vorderseite // Rückseite

Heinrich David war nach der Pogromnacht mit seiner Frau Hedwig und Tochter Ilse nach Köln verzogen. Im Gegensatz zu zweien seiner Geschwister gelang ihm die Ausreise in die USA nicht. Alle drei wurden am 27. Juli 1942 nach Theresienstadt und am 28. September 1944 weiter nach Auschwitz deportiert, wo sie ermordet wurden.

Adolf Tobias starb am 18. November 1942 im Ghetto Lodz im Alter von nur 53 Jahren. Unzureichende Ernährung, mangelnde Hygiene und kaum medizinische Versorgung hatten zahlreiche Todesopfer zu Folge. Seine Schwester Thekla überlebte noch anderthalb Jahre im Ghetto und wurde am 12. Juli 1944 nach Chelmno verschleppt und ermordet. Bruder Max Tobias war mit seiner Frau Nelli Salomon zunächst in die Niederlande geflüchtet. Beide wurden Ende September 1942 von Westerbork nach Auschwitz deportiert und ermordet.


Aus der Archiveinheit Sig. 39/278/0/30/2321, Staatsarchiv Lodz

Eine weitere Karte, die ich bisher nur als Zitat aus der Ausstellung „Deportationen der Juden aus dem Rheinland im Herbst 1941 ins Ghetto Litzmannstadt (Lodz)“ kannte, war von Rosa Hillmann an Mally Eichberg, geb. Tobias nach Oberhausen geschrieben worden. Sie illustriert anschaulich die Panik, die die Deportierten angesichts des strengen Winters und der aussichtslosen Lage im Ghetto ergriff.

Abs.: Rifka Hillmann, Litzmannstadt Ghetto, Hohensteiner Str. 42/46 // An: Frau Mally Sara Eichberg, Oberhausen / Rhld, Nohlstr. 74 // 27.12.41

„Meine liebe, gute Frau Eichberg! Warum ich auf die vielen Karten an Sie immer noch ohne Nachricht bin, ist mir rätselhaft. Hoffentlich sind nur gesund. Eine Karte an Carsch und Sie kam leider zurück. Nun höre ich zu meinem großen Leidwesen, dass Carschs verreist sind. An Familie Hirsch, Sander, Katz, Benjamin, Jockels und Weissenberg habe separat geschrieben und um Geldsendung gebeten, niemand lässt etwas von sich hören. Hoffentlich haben C. was für uns hinterlassen, denn wir benötigen es sehr. Mein Mann liegt seit 14 Tagen an Lungenentzündung zu Bett, ich ebenfalls an Darm- und Gallenblasenentzündung, alles kostet sehr viel und wir haben ja nichts mitgenommen. An Familie Marx habe auch geschrieben. Ich bitte Sie sehr, verkaufen Sie was und senden uns Geld, jeder Betrag ist zulässig. Wie geht es Ihnen, liebe Frau Eichberg, wohnen Sie noch dort? Grüßen Sie Otti, W. und Frau Ros., alle sollen an uns denken. Ich kann unmöglich an jeden schreiben, die Geldverhältnisse erlauben es uns nicht. Grüßen Sie alle, alle Bekannten herzlich von uns, wir denken viel an alle. // Silvia ist auch nicht mehr in Mülheim. Wo sind Carschs?
Ist Marta noch in Mülheim? Horowitz und Herr Roth arbeiten, mein Mann liegt schwer krank. Antworten Sie bald auf Antwort-Karte, und wenn wir auch nicht schreiben, so geben Sie trotzdem Nachricht, ich bitte Sie sehr, sehr. Sagen Sie auch allen dort Bescheid. Von uns beiden die herzlichsten Grüße und Küsse, Ihre Rosa Hillmann.“

Vorderseite // Rückseite

Rosa Hillmann starb am 17. Juli 1942 im Alter von nur 45 Jahren im Ghetto. Ihr Mann Jakob überlebte den furchtbaren Ghettoalltag noch zwei Jahre. Am 9. Juli 1944 wurde im Ghetto seine  Todesbescheinigung ausgefüllt. Als Todesursache wurde dem gerade 50-Jährigen „akute Herzmuskelschwäche“ bescheinigt, eine typische Folge der jahrelangen Mangelernährung.

Mally Eichberg wurde am 21 Juli 1942 nach Theresienstadt deportiert und am 21. September desselben Jahres nach Treblinka verschleppt und ermordet. Im Februar wird für sie in Oberhausen ein Stolperstein verlegt.

Stammbaum Eichberg

Während meiner Recherche bin ich immer wieder auf die Familie Eichberg aus Osterspai am Rhein gestoßen, die mehrfach in die Familie Tobias eingeheiratet hat. Es gibt eine ganze Reihe von Eichberg-Linien, die alle aus Osterspai stammen, deren losen Enden ich aber bislang nicht verknüpfen konnte. Im folgenden sind diejenigen Nachfahren aufgeführt, die den Familiennamen Eichberg weiterführten. Quellen s.u.

Nachkommen von Moses Eichberg

Generation 1

1. Moses Eichberg (Moses Levi Kaan) [‎1] war verheiratet mit Caroline … ‎[1].

Kinder von Moses Eichberg und Caroline …:

  • 2. i Josef Löb Eichberg [‎2][‎3] G: 7. November 1818 Osterspai T: 2. Juli 1876 Boppard
  • 3. ii Salomon Eichberg [‎4] G: um 1820 T: vor 1917 Osterspai
  • 4. iii David Eichberg [5]

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Schüler putzen Solinger Stolpersteine

Quelle: Stefan Demren

Am Mittwoch sorgten in der Solinger Innenstadt mehrere Jugendliche für neugierige Blicke, die in kleinen Gruppen auf den Bürgersteigen hockten und dort das Pflaster bearbeiteten. Erst beim näheren hinschauen fiel den meisten Passanten auf, dass sie Stolpersteine putzten. „Die fanden es toll, dass wir das machen“, berichteten die Schülerinnen und Schüler der Theodor-Heuss-Realschule, die sich derzeit im Rahmen einer Projektwoche mit dem Thema „Solingen im Nationalsozialismus“ beschäftigen.

Für Geschichtslehrer Stefan Demren war das Projekt eine Herzensangelegenheit. „Die Schüler haben 60 Minuten Geschichte in der Woche und da geht es im Zusammengang mit dem Nationalsozialismus viel um das große Ganze und abstrakte Opferzahlen. Das betrifft die Schüler wenig. Wenn sie aber hier in der Nachbarschaft von konkreten Schicksalen erfahren, dann wird die Sache auf einmal greifbar.“ 22 Schülerinnen und Schüler aus der 9. und 10. Klasse hatten sich für das Angebot von Demren gemeldet. „Wir mussten sogar einigen absagen. Das Interesse ist sehr hoch und ich hoffe, dass wir über die Projektwoche hinaus eine AG einrichten können.“

Dr. Max Waltuch (Mitte) mit seinen Brüdern Karl (links) und Ernst. Quelle: Stephan Schäfer-Mehdi

Die Projektwoche startete mit einem Überblick, was genau Nationalsozialismus und Antisemitismus bedeuten, was zwischen 1933 und 1945 in Solingen passierte und was es mit den Stolpersteinen von Gunter Demnig auf sich hat. „Den Stolperstein für Dr. Max Waltuch, der seit 2014 direkt gegenüber unserer Schule liegt, hatten viele noch nie bewusst wahrgenommen.“ Dass auch dieser Stein nun poliert wurde, freute besonders Stephan Schäfer-Mehdi, der die Gruppe am Donnerstag besuchte. „Mein Großvater war mit Max Waltuch befreundet. Deswegen habe ich 2014 die Patenschaft für diesen Stein übernommen und Kontakt zu seiner Familie aufgenommen.“ Max Waltuch, der in Solingen bei der Stadt als Arzt beschäftigt und im Arbeitersamariterbund aktiv war, verlor als Jude kurz nach der Machtübernahme seine Stelle und entschied sich 1934 Deutschland zu verlassen. Sein Bruder Karl lebte damals bereits in New York. Der andere Bruder Ernst blieb bei seiner nicht-jüdischen Ehefrau in den Niederlanden. Dessen Tochter Ankie nahm 2014 an der Stolpersteinverlegung teil.

Foto: Daniela Tobias

Insgesamt drei Stunden waren die Jugendlichen in fünf Gruppen in der Solinger Innenstadt unterwegs, ausgerüstet mit Schwämmen, Microfasertüchern und Metallreiniger. Besonders beeindruckt war eine Gruppe von Schülerinnen vom Schicksal der Familie Leven. Vater Max Leven, Redakteur der kommunistischen „Bergischen Arbeiterstimme“, war in der Pogromnacht im November 1938 in seinem Haus erschossen worden. Ehefrau Emmy und ihre zwei Töchter Hannah und Anita wurden später deportiert und ermordet. Nur Sohn Heinz konnte 1935 aus Deutschland fliehen. Die fünf Stolpersteine liegen in der heutigen Max-Leven-Gasse in der Nähe des Neumarkts. „Die Schülerinnen konnten nicht begreifen, warum das Haus der Levens so dem Verfall überlassen wird, nach allem, was man weiß, was dort ungeheuerliches passierte“, erzählte Stefan Demren von den spontanen Eindrücken.

Zum Abschluss der Projektwoche wird die Gruppe ihre Ergebnisse den Mitschülern und Eltern präsentieren, die zum Tag der offenen Tür an der Theodor-Heuss-Schule kommen.

Im Oktober ist die erste stadtweite Stolperstein-Putzwoche in Kooperation mit dem Unterstützerkreis Stolpersteine und dem Stadtarchiv geplant, an der sich zahlreiche Solinger Schulen beteiligen wollen.