1862 war Tobias „Theodore“ Tobias, der dritte Sohn von Herz Tobias und Olisa Herz, der erste der Familie, der in die Neue Welt aufbrach. Eine Auswanderungswelle hatte in den 1840er Jahren Deutschland erfasst. Amerika suchte nach hart arbeitenden und gut ausgebildeten Menschen, die das Land aufbauen und ihr Glück machen wollten. Es waren vor allem junge Männer aus ländlichen Gebieten, die kaum hinreichend Land besaßen, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen, die diese Chance ergriffen. Auch jüdische Geschäftsleute, die darauf hofften, ihre Unternehmen als gleichwertige Bürger ohne Diskriminierung führen zu können, kamen in die USA. Viele blieben in New York und unterhielten geschäftliche Beziehungen zu ihrem Heimatland, während es andere als Viehhändler in den Süden zog.
Die Situation vieler Juden im Westerwald war sicherlich prekär. Fast alle waren Händler und Metzger, die miteinander in Konkurrenz standen. Es waren zwar in der Mitte des 19. Jahrhunderts Gesetze erlassen worden, die die bürgerliche Gleichheit von Juden garantierte, aber im täglichen Leben setzte sich diese Gleichheit nur langsam durch. Wir wissen nichts über die persönliche Motivation von Tobias Tobias und wie er seine Reisekosten finanzierte, aber wir fanden seinen Namen auf einer Passagierliste von 1862. Er war dort als 24-jähriger Bauer aufgeführt, der sich in Bremerhaven einschiffte. Eine Reihe unter ihm stand der 33 Jahre alte Bauer Johannes Koch auf der Liste, der möglicherweise ein Nachbar aus Raubach in der Nähe von Oberdreis war. Das Schiff erreichte New York am 18. August 1862: kein Ellis Island, das sie durchlaufen mussten, keine Freiheitsstatue, die sie begrüßte, keine Wolkenkratzer, die sie bestaunen konnten. Die Trinity Church war zu der Zeit das höchste Gebäude in Manhattan.
Tobias änderte seinen Namen zu Theodore Tobias und zog nach Hartford, Connecticut, wo seit dem Revolutionary War eine jüdische Gemeinde aus deutschen und österreichischen Auswanderern bestand. Wir finden die erste Erwähnung seines Namens im Hartford Daily Courant am 21. September 1865. Er war wegen des Kaufs von Waren unter Vortäuschung falscher Tatsachen verhaftet worden und wurde beschuldigt, den betroffenen Geschäften einen Verlust von 500 $ verursacht zu haben. Es wurde berichtet, dass er vielleicht in der Lage sei, die klagenden Parteien auszuzahlen. Der Ausgang der Geschichte wurde nicht veröffentlicht.
Offenbar hatte die unschöne Begegnung mit der Justiz seinem Ruf keinen größeren Schaden zugefügt, denn kurze Zeit später, im Juli 1867, heiratete er Pauline Freeman, die Schwester des Hartforder Textilhändlers Solomon Freeman. Pauline, Solomon und ihre Geschwister Jacob, Alexander und Julia waren mit ihrem Onkel Samuel in den 1860ern in die USA gekommen und hatten ihren deutschen Namen Freiman zu Freeman geändert. Samuel und sein Bruder Ignatz stammten aus Hohenems, Vorarlberg, einem Zentrum jüdischen Lebens in Österreich zu dieser Zeit. Ignatz war mit Sophie Berliner aus Buchau, Württemberg verheiratet, ebenfalls ein jüdisches Zentrum in Süddeutschland. Ignatz und Sophie lebten in Ettendorf im Elsaß, aber heirateten erst nach Paulines Geburt in Nagelsberg, Künzelsau, die einige Schwierigkeiten mit den Behörden verursacht hatte. Wahrscheinlich arbeitete Sophie als reisende Händlerin wie ihr Ehemann. Ignatz und Sophie zogen, nachdem ihre Kinder nach Amerika gegangen waren, nach Buchau. Beide sind dort auf dem jüdischen Friedhof begraben.
Das erste Kind von Theodore und Pauline kam im Februar 1868 zur Welt. Ihr Name war Alice, wahrscheinlich nach Theodores Mutter “Olisa.” Das zweite Kind, Herman, kam im Januar 1872 zur Welt. Sein Name könnte die eingedeutschte Version von Herz sein, dem Namen von Theodores Vater. Das dritte Kind, Sophie, benannt nach Paulines Mutter, wurde im Dezember 1874 geboren. Solomon, Nummer vier, kam am 11. Juli 1876 zur Welt und wurde nach Paulines Großvater Salomon Freiman benannt. Im selben Jahr wurde Theodore Eigentümer des “Boston Clothing Store” an der Asylum Street in Hartford. Es ist nicht ganz klar, ob es wirklich sein eigenes Geschäft war oder zu Solomon Freeman’s Clothing Bazaar gehörte, der ebenfalls an der Asylum Street war. Während Solomon in den 1870ern zahlreiche Anzeigen im Hartford Courant geschaltet hatte gab es keine einzige für Theodores Geschäft.
Im Privatleben musste Theodore mehrere Rückschläge verkraften. Im Januar 1873 brannte in Canton eines Nachts fast sein komplettes Haus ab, während seine Familie schlief. Im letzten Moment konnte der Hauptwohnbereich des Hauses gerettet werden. Im Januar 1874 beging seiner Schwägerin Julia Freeman Selbstmord während sie in seinem Haus in Hartford zu Gast war. Sie konnte trotz sofortiger medizinischer Hilfe nicht mehr gerettet werden. Sie war schon seit einiger Zeit depressiv gewesen und schluckte eines Nachts Arsen. Ihr Vater Ignatz und ihr jünsgter Bruder Martin waren erst ein paar Monate zuvor in Hartford angekommen. Wir wissen nicht, ob sie immer noch in der Stadt waren, als Julia starb. Sie wurde nur 22 Jahre alt.
Im Juni 1878 zerstörte ein weiteres Feuer Theodores Haus in Canton. Wieder brach der Brand mitten in der Nacht aus. Glücklicherweise besaß die Familie noch ein Haus in Hartford und zog am nächsten Morgen dorthin um. Theodore verkaufte 1879 seinen Besitz in Canton. Im Zensus von 1880 wurde er als Schmuckhändler gelistet.
Ende 1881 reichte Theodore die Scheidung ein, denn Pauline hatte angeblich seit mehreren Jahren eine Affäre mit ihrem Nachbarn Robert Miller aus Hartford gehabt. Das Urteil wurde am 4. Januar 1882 gefällt und Pauline für schuldig befunden. Am 13. Juli 1882 heiratete Theodore Mary Kronacher in Manhattan. Wir wissen nicht, ob Pauline wie ihre Schwester Julia an Depressionen litt, aber in der Woche nach dieser Hochzeit wurde sie wegen Trunkenheit in der Öffentlichkeit verhaftet, was man schließlich als “Unzurechnungsfähigkeit” bezeichnete. Die Meldung im Hartford Courant über diesen Vorfall ist das letzte Lebenszeichen, das wir von ihr haben. Robert Miller, ein Feilenhersteller, tauchte zum letzten Mal im Zensus von 1900 in Hartford auf. Es gibt keine Heiratsurkunde der beiden. Offenbar kam die Scheidung für Pauline einer sozialen Vernichtung gleich.
Am 10. Juni 1883 brachte Mary Theodores fünftes Kind zur Welt: Mayer Emanuel Tobias. Das Paar hatte eine weitere Tochter, Dora, geboren am 7. November 1888. Mary starb am 15. Juni 1906 und Theodore im Jahr 1908. Wir haben keine Todesanzeige von ihm gefunden. Beide wurden auf dem Beth Israel Cemetery, Hartford beerdigt.
Grabstein von Theodore Tobias auf dem jüdischen Friedhof von Hartford.
Theodores älteste Tochter Alice heiratete 1886 einen irischen Katholiken, Kyran William O’Neill. Sie hatten sechs Kinder. Sein Sohn Herman war zweimal verheiratet, hatte aber keine Kinder. Er leitete mehrere Hotels in Hartford und starb im September 1936 in Old Saybrook, Connecticut. Theodores Tochter Sophie heiratete Samuel Steiner und hatte ebenfalls keine Kinder. Sie starb am 17. August 1933 in Old Saybrook. Sein Sohn Solomon heiratete Lena Oppenheimer und hatte sechs Kinder. Seine Familie spielte eine wichtige Rolle dabei, deutschen Verwandten zu helfen während der Nazizeit ihr Land zu verlassen. Sein Sohn Mayer Emanuel zog nach New York und führte mit seinem Partner Pincus eine erfolgreiche Schuhfabrik. Er war mit Antonia Hahn verheiratet und hatte eine Tochter, Miriam (1913-1979). Wir wissen nicht, wann er starb. Theodores Tochter Dora war mit Louis Mohill verheiratet und hatte eine Tochter namens Miriam Mohill Astmann (1918-2002). Dora starb am 30. August 1970 in West Hartford.