Familie WALTER TOBIAS, Haaren/Paderborn

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Hochzeit von Walter Tobias und Selma Bähr im Sommer 1931 in Hamm. Links stehen Walters Bruder Hugo Tobias mit seiner Frau Irma Gärtner. Rechts neben Hugo steht vermutlich Selmas Schwester Irma. Ihr Ehemann Walter Katz ist vermutlich der Brillenträger. Rechts daneben steht Walters Bruder Julius. Rechts von den Brautleuten stehen vermutlich Selmas Eltern Minna und Hermann Bähr und ihr Bruder Sigmund, daneben Walters Schwester Johanna mit ihrem Mann Joseph Bramson. Vorne rechts sitzen Rosa und Hermann Tobias mit Rosas Schwester Jette Levy. Quelle: Robert Tobias

Walter Tobias wurde am 23. Oktober 1901 in Hamm an der Sieg als Sohn von Hermann und Rosa Tobias geboren. Er heiratete im Sommer 1931 Selma Bähr aus Haaren bei Paderborn. Wahrscheinlich hatte Walter seine Frau über seinen Nachbarn Alex Bachenheimer kennengelernt, dessen Bruder in Haaren lebte. Walter und Selma bekamen 5 Kinder: Karl-Heinz (*20.06.1932), Erwin (*11.07.1933), Kurt (*10.03.1935), Gerson (*07.09.1938) und Zilla (*08.01.1942).

Walter Tobias hatte im Wintersemester 1921/22 eine Ausbildung zum Elektrotechniker an einer Fachschule in Bingen begonnen. Ob er sie zu einem Abschluss gebracht hat, ist nicht klar, da die weiteren Schülerlisten nach dem Krieg nicht mehr aufzufinden waren. In Hamm war er als Elektriker gemeldet, zog dann aber mit seiner Frau nach Haaren zu den Schwiegereltern. Hier hatte er wohl durch Gelegenheitsarbeiten bei den Bauern aus der Umgegend zunächst ein hinreichendes Einkommen, bezog aber ab 1933 Sozialhilfe und wurde als Gemeindearbeiter beschäftigt. Außerdem half er Selmas Vater. Die Umsätze von Hermann Bähr, der Viehhändler war, sanken aber auch schon bald durch die Boykottmaßnahmen rapide ab. 1937 wanderten Selmas Geschwister in die Niederlande aus und auch Walters Geschwister verließen Deutschland bis September 1938 gen USA.

Mahnmal in Haaren
Großneffe Robert Tobias 2013 am Gedenkstein für die jüdischen Mitbürger von Haaren. Foto: Daniela Tobias

Am Tag nach der Pogromnacht im November 1938 wurden die jüdischen Männer des Ortes verhaftet und nach Paderborn gebracht, anschließend die Wohnhäuser geplündert und zerstört. Hermann Bähr und Walter Tobias wurden zusammen mit den anderen Inhaftierten nach Buchenwald gebracht. Hermann kam als einer der ersten wieder frei, da er das Frontkämpfer-Ehrenkreuz nachweisen konnte. Der Verkauf seines Hauses in Haaren schlug zwar fehl, aber er emigrierte trotzdem im Februar 1939 mit seiner Frau zur Tochter Irma nach Amsterdam. 1942 wurde die Familie dort verhaftet und im Lager Westerbork interniert, von wo aus sie später nach Auschwitz deportiert und umgebracht wurden.

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Selma mit ihren drei jüngsten Kindern Kurt, Zilla und Gerson im Sommer 1942. Foto: Ludwig Mersch, Quelle: Jost Wedekin

Walter Tobias bezog nach seiner Rückkehr aus Buchenwald im Januar 1939 mit seiner Familie das Haus der Schwiegereltern. Die ältesten Söhne Karl-Heinz und Erwin mussten ab 1939 ins jüdische Waisenhaus nach Paderborn, um dort die jüdische Privatschule zu besuchen. Kurt folgte ihnen 1941. Nachdem die Schule geschlossen wurde, kamen die Kinder wieder zu den Eltern zurück. Sie waren inzwischen ins „Judenhaus“ bei der Familie Emmerich eingewiesen worden. Der reguläre Verkauf des Hauses von Hermann Bähr war endgültig gescheitert. Ein Parteigenosse bekam das Haus zugewiesen. Walter musste im Steinbruch Zwangsarbeit verrichten. Nachdem man die anderen Mitbewohner des Judenhauses 1942 nach Riga und Theresienstadt deportiert hatte, waren die Tobias im Februar 1943 die letzten, die noch dort lebten. Anfang März 1943 wurden auch sie über Bielefeld nach Auschwitz verschleppt.

Akte von Walter Tobias, KZ Auschwitz, Quelle: 100592/112600048 004/ITS Digital Archive, Arolsen Archives

Die schwangere Selma Tobias und ihre 5 Kinder wurden vermutlich direkt nach der Ankunft in Auschwitz ermordet. Walter Tobias wurde dem Arbeitskommando Buna/Monowitz der IG Farben zugeteilt, obwohl er schon 42 Jahre alt und nur 1,57m groß war. Aber wahrscheinlich zählten seine handwerklichen Fähigkeiten, die die meisten jüdischen Kaufmänner nicht hatten. Fast zwei Jahre überlebte Walter Tobias in Monowitz, was eine außergewöhnlich lange Zeit ist, wenn man die katastrophalen Bedingungen für die Häftlinge berücksichtigt.

KZ Auschwitz, Einfahrt
Auschwitz am 27. Januar 1945 nach der Befreiung. Im Vordergrund von den Wachmannschaften zurückgelassene Ausrüstungsgegenstände. Quelle: Bundesarchiv, B 285 Bild-04413 / Stanislaw Mucha / CC-BY-SA

Als im Januar 1945 das Lager Auschwitz geräumt wurde, kam Walter zurück nach Buchenwald. Anfang März 1945 wurde er dem Arbeitskommando Eschershausen als Bauschlosser zugeteilt. Hier hatten im nahegelegenen Holzen Zwangsarbeiter in einem Stollen ein unterirdisches Arbeitslager eingerichtet, und es sollten bald für das Volkswagenwerk V1-Raketen produziert werden. Dazu kam es nicht mehr. Ende März wurde auch dieses Lager aufgelöst und Walter mit seinen Leidensgenossen zurück ins Stammlager Buchenwald gebracht. Am 10. April 1945, dem Tag vor der Befreiung durch die Amerikaner, schickte die SS noch über 9000 Häftlinge aus Buchenwald auf Todesmärsche. Walter wurde mit einer Kolonne in Richtung tschechischer Grenze geschickt. Der Rest dieser Häftlingsgruppe, der nicht unterwegs schon wegen Entkräftung zusammengebrochen und erschossen worden war, erreichte am 6. Mai Theresienstadt, das bereits unter Verwaltung des Roten Kreuzes stand. Zwei Tage später wurde das Lager von der Roten Armee befreit. Walter Tobias verstarb am 18. Mai 1945, zehn Tage nach der Befreiung, an den Folgen des Todesmarschs und den über zwei Jahre dauernden Torturen in den Arbeitslagern.

Akte von Walter Tobias, KZ Buchenwald, Quelle: 7282292/01010503 002.015.160/ITS Digital Archive, Arolsen Archives

Selmas Bruder Sigmund war der einzige Überlebende der Familie Bähr, da er es geschafft hatte nach Uruguay zu emigrieren. Als er 1948 sicher war, niemanden mehr lebend wieder zu sehen, beging er in Montevideo Selbstmord.

Walter Tobias beim Heuladen auf dem Wagen in Hamm, Quelle: Horst Moog

Literatur:

Weitere Quellen:

Interviews:

  • Ernest W. Michel (*1. Juli 1923, Mannheim), war im selben Transport von Paderborn nach Auschwitz wie Walter Tobias und ebenfalls in Monowitz und Buchenwald.
  • Israel Löwenstein (*28. März 1925, Berlin), wurde ebenfalls von Paderborn nach Auschwitz deportiert und für die Arbeit in Monowitz selektiert.

Stammbaum:

Generation 1

  • Walter Tobias (1901-1945) ∞ Selma Bähr (1904-1943) Haaren/Paderborn

Generation 2

  • Hermann Tobias (1865-1940) ∞ Rosa Levy (1861-1935) Hamm/Sieg
  • Hermann Bähr ∞ Minna Buchthal, Haaren/Paderborn

Generation 3

  • Jakob II. Tobias (1833-?) ∞ Knendel „Hannchen” Tobias (1840-1866) Oberdreis/Puderbach
  • Jakob Levy (1816-1898) ∞ Klara Löwenberg (1822-1890) Schupbach
  • unbekannt
  • unbekannt

Generation 4

  • Herz Tobias (1798-1860) ∞ Olisa Herz (1801-1864) Oberdreis/Puderbach
  • Jakob I. Tobias (1803-1864) ∞ Malchen Benjamin (1815-1861) Oberdreis/Puderbach
  • Heymann Levi ∞ Rifka Katz
  • Gumbrich Löwenberg ∞ Lea Josef, Schupbach
  • weitere unbekannt …