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Tagebuch eines jüdischen Rekruten

Es war am 3. October 1820, als ich mein Los zu Bielefeld erfuhr. Die Bestürzung meiner guten Eltern war groß, doch fassten sie sich bald, und ich freute mich sogar, einmal die Welt und die schönen Rheingegenden besehen zu können.

Festung von Luxemburg vor der Schleifung 1867, Quelle: commons.wikimedia.org

Isaac Löwenstein kam 1796 in Neuenkirchen, Rietberg als ältester Sohn von Selig Levi Löwenstein und Marianne Herz zur Welt. Er war 24 Jahre alt, als er zum Militärdienst beim 39. Infanterieregiment nach Luxemburg einberufen wurde. In seinem Tagebuch beschreibt er zwischen März 1821 und Oktober 1823 den Fußmarsch von Bielefeld bis nach Luxemburg, seine Dienstzeit im preussischen Heer und die Rückreise bis zur Schwester Friederike nach Neheim, Arnsberg.

Das Dokument wurde von seinen Urenkeln an das Leo Baeck Institut übergeben, digitalisiert und transkribiert. Es ist das faszinierende Zeugnis eines jungen Mannes, der eine für ihn neue Welt entdeckt. Ganz unprätentiös, aber voller Neugier, beschreibt er Land und Leute. Er trifft dabei auf Christen und Juden, hilfsbereite und abweisende Mitmenschen, muss sich in der Kaserne als Rekrut von eher schwächlicher Statur durchkämpfen, bis er schließlich eine Stelle als Schreiber erhält. Eine Karriere beim Militär steht ihm als Jude dennoch nicht offen. Auf seinem Heimweg nach Westfalen übernachtet er in Elberfeld bei einem Vetter und besucht dort eine Vorstellung von „Salomons Urteil“, die ihn tief bewegt.

Elberfeld hat viele prächtige Gebäude, doch ist es nicht mit Düsseldorff zu vergleichen. Die Straßen sind größtenteils krumm, und nur die Aue und die Vikarien verdienen den Namen einer schönen Straße. Nach Merkwürdigkeiten und Fabriken konnte ich mich nicht viel umsehen. Die Eiche auf dem Marktplatz bietet ein rührendes Denkmal aus den Zeiten des Befreiungskriegen dar. Es stellt die Vereinigung der Monarchen dar. Abends ging ich in das Theater. Es wurde Salomons Urteil gegeben. Die Schauspieler waren gut, und das Stück rührte mich bis zu Tränen, nicht bloß deswegen, daß eine Mutter ihr Kind verloren und nach 7 Jahren wiedergefunden, nicht daß eine liebende Gattin ihren Gatten, der auch sie noch herzlich liebt, und der eine angemessene Verbindung um sie ausschlug, wiederfand, sondern größtenteils dadurch, daß ich mir den alten Glanz unserer Nation so lebhaft dachte, und desto schmerzlicher ihren jetzigen Verlust fühlte.

Das Tagebuch von Isaac Löwenstein ist im digitalisierten Archiv des Leo Baeck Instituts im Original, als deutsche und englische Transkription einsehbar: