Familie ARON MARX, Linz am Rhein

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Aron Marx kam am 30. Dezember 1852 in Hönningen am Rhein zur Welt. Er heiratete am 6. Mai 1883 Gudel „Julie“ Oestreich aus Langstadt, Babenhausen. Die Familie lebte zunächst in Langstadt, wo Tochter Hannche „Johanna“ am 14. Februar 1884 geboren wurde und Tochter Rebecka „Ricka“ am 21. Dezember 1885. Die dritte Tochter Dora kam am 12. Januar 1889 in Linz am Rhein zur Welt. Die Familie lebte hier zuerst Auf der Donau und später Am Halborn 7, wo Aron Marx eine Metzgerei betrieb. Die vierte Tochter Wilhelmine „Minna“ kam am 25. Dezember 1890 zur Welt.

Johanna Hönigsberger, geb. Marx
Johanna Hönigsberger, geb. Marx

Johanna heiratete am 24. April 1908 in Frankfurt am Main den Spengler Herzl „Hermann“ Hönigsberg (*11. Juni 1880, Kaboldi, Ungarn, heute Kobersdorf, Österreich). Sie arbeitete zu der Zeit als Verkäuferin und lebte an der Gaußstr. 10. Am 17. Februar 1910 kam in Frankfurt Tochter Antonie „Toni“ zur Welt. Im November 1918 zogen Johanna und Hermann von der Hanauer Landstraße 110 zur Roseggerstr. 9.

Dora heiratete am 17. September 1913 in Frankfurt den Opernsänger Johann Heinrich „Hans Heinz“ Gräf (*22. Juli 1883, Frankfurt, Neffe des Sozialpolitikers und Bürgermeisters Eduard Gräf). Am 3. März 1919 kam in Mainz Sohn Hans Berthold zur Welt.

Dora Gräf, geb. Marx mit Sohn Hans Berthold
Dora Gräf, geb. Marx mit Sohn Hans Berthold

Hans Heinz Gräf gründete nach dem ersten Weltkrieg mit seinen Partnern Max Haas und Alexander Sander in Frankfurt ein Schauspielhaus, die „Sander-Gräf-Bühnen“, wo auch Opern und Operetten gegeben wurden. Um 1928/29 stieg Hans Gräf aus der Kooperation aus und übernahm die Lichtspiele Bockenheim an der Leipziger Str. 29, ein Kino mit 250 Plätzen. Später kamen noch die Palast-Lichtspiele an der Rödelheimer Str. 6 mit 336 Plätzen hinzu. Die Familie wohnte zu der Zeit am Goetheplatz 5.

Minna heiratete Alex Fernich (* 18. Oktober 1883, Klotten an der Mosel), der in Linz die Metzgerei vom Schwiegervater Aron Marx übernahm. Tochter Hilde, ein „Sonntagsmädel“, wurde am 14. August 1921 geboren. Sie besuchte die Mädchenschule der Franziskanerinnen.

Julie Marx, geb. Oestreich starb 1931 und wurde auf dem jüdischen Friedhof von Linz beerdigt.

Toni Hönigsberg zog am 19. Febuar 1932 aus Aschaffenburg zurück zu den Eltern nach Frankfurt. Im September 1933 emigrierten Johanna und Hermann Hönigsberg nach Palästina. Toni meldete sich am 8. November 1934 nach Damaskus ab.

MinnaRickaMarx_sRickas erster Mann, der Kaufmann Ludwig Gustav Cahn aus Gießen war am 21. Januar 1928 mit 45 Jahren in Frankfurt verstorben. Im Frühjahr 1936 heiratete sie in Frankfurt den Witwer Arthur Decker (* 2. September 1881, Marnheim, Donnersbergkreis). Sie zogen zusammen nach Alzey an die Spießgasse 26.

Im Juli 1937 verkauften die Gräfs ihre Kinos und konnten sich von dem Erlös von 25.000 Mark nach Begleichung ihrer Schulden eine Villa an der Bockenheimer Landstraße 69 kaufen. Nach dem Umbau des Hauses richteten Dora und Hans im Oktober 1937 eine jüdische Pension ein und boten auch Mittagstisch an. Das Haus hatte 13 Zimmer, auf jeder Etage ein Bad, sechs Mansarden und einen großen Garten. Sie und ihr Mann bewohnten zwei Zimmer im Erdgeschoss. Sohn Hans junior, der eine kaufmännische Ausbildung absolvierte, hatte ein Mansardenzimmer für sich.

Für die übrigen Zimmer fanden sich schnell Mieter, darunter Bankiers- und Unternehmer-Familien (Schweitzer, Kleiderfabrik Kaiserstr.; Kommerzienrat Gustav Gerst, Kaufhaus Tietz; Österreicher, Gummiwaren Kaiserstr.). In einem Brief von Februar 1938 an ihre Schwester Johanna beschrieb Dora manche von ihnen als arg verwöhnt und unangenehm, aber sie war natürlich froh, dass das Haus so schnell voll belegt war. Die Gräfs beschäftigten für den Pensionsbetrieb ein Hausmädchen, einen Diener und eine Köchin.

Am Halborn 7, Linz am Rhein
Am Halborn 7, Linz am Rhein

Alex und Minna Fernich verkauften 1937 das Haus Am Halborn und die Familie zog mit Vater Aron Marx nach Frankfurt. Sie lebten dort an der Bockenheimer Landstraße 101.

Ricka war im Januar 1938 wegen einer Krebserkrankung im Krankenhaus in Alzey eine Brust abgenommen worden. Sie erholte sich jedoch nicht mehr und starb am 21. April 1938 in Doras Haus. Ihr Mann Arthur Decker emigrierte im August 1939 in die USA, heiratete dort erneut und starb am 27. März 1943 in Manhattan, New York.

Am 10. Juni 1940 starb Hans Heinz Gräf in seinem Haus an Magenkrebs. Am 3. März 1941 erlag sein Schwiegervater Aron Marx einer Lungenentzündung.

Hans Berthold Gräf war zwischen 1939 und Sommer 1941 bei der Tanzkapelle Heinz Grimm in verschiedenen deutschen Städten als Schlagzeuger engagiert gewesen und spielte zuletzt in Chemnitz, als ihm die weitere Berufsausübung verboten wurde. Er kam zurück nach Frankfurt und musste als Hilfsheizungsmonteur arbeiten.

Hans Heinz, Dora und Hans Berthold Gräf im Garten an der Bockenheimer Landstr. 69
Hans Heinz, Dora und Hans Berthold Gräf im Garten an der Bockenheimer Landstr. 69

Am 15. September 1941 wurden sowohl Dora als auch ihr Sohn Hans erneut verhaftet. Der Grund ist nicht bekannt, allerdings war Hans schon länger im Visier der Gestapo gewesen, da er verbotenen Jazz spielte und bereits wegen unerlaubten „Hamsterns“ für jüdische Pensionsgäste aktenkundig geworden war.

Dora wurde in das Frauen-Konzentrationslager Ravensbrück gebracht. Hans wurde nach zwei Monaten im Gefängnis Klapperfeld am 15. November 1941 ins KZ Mauthausen nach Österreich überstellt (Häftlingsnummer 2644, Schutzhaft). Er wurde unter anderem im Arbeitslager Vöcklabrück eingesetzt und am 5. Mai 1945 befreit. Zwischenzeitlich hatte er 1943 noch eine sechsmonatige Haftstrafe wegen verbotenen Umgangs mit Kriegsgefangenen verbüßt.

Hilde Fernich erreichte am 20. August 1941 in Lissabon die „Mouzinho“, eines der letzten Schiffe, das jüdische Flüchtlinge in die USA brachte. Sie wurde dort in New York von einer Cousine zweiten Grades, Rosa Baer empfangen.

Minna Fernich und ihr Mann Alex wurden am 20. Oktober 1941 von Frankfurt nach Lodz deportiert. Alex starb am 31. Juli 1942 im Ghetto angeblich an Herzmuskelschwäche. Minna wurde am 5. Juli 1944 ins Vernichtungslager Chelmno gebracht und ermordet.

Dora Gräf wurde in Ravensbrück am 5. März 1942 von Ärzten „zur Vernichtung selektiert” und in der Tötungsanstalt Bernburg an der Saale ermordet. Ihre Asche wurde nach Frankfurt geschickt und eine Freundin kümmerte sich um die Beerdigung im Grab ihres Vaters.

Einrichtung des "Hot Club" an der Bockenheimer Landstr. 69. Foto: Susanne Schapowalow
Einrichtung des „Hot Club“ an der Bockenheimer Landstr. 69. Foto: Susanne Schapowalow

Hans Berthold kam nach dem Krieg zurück nach Frankfurt. Er richtete 1947 mit Freunden im Keller des zerbombten Hauses seiner Eltern den Frankfurter Jazztreff „Hot Club“ ein. Während der Nazi-Zeit waren „Hot Clubs“ ein Begriff für verbotene Swing- und Jazzmusik gewesen. In der Nachkriegszeit versuchten nun Horst Lippmann und Olaf Hudtwalcker von Frankfurt aus unter demselben Label durch Sessions, Schallplattenabende und Vorträge modernen Jazz in Deutschland zu etablieren. Als im Juli 1950 das Haus an der Bockenheimer Landstraße verkauft wurde, fand der Club zunächst eine neue Bleibe an der Myliusstraße. 1952 konnte dann an der Kleinen Bockenheimer Str. 18a mit dem „Domicil du Jazz” wieder ein richtiger Jazzkeller eröffnet werden, der heute noch existiert.

Hans leitete bis in die 1960er Jahre eine eigene Combo unter seinem Namen, die vor allem in den Clubs der Special Services auftrat. Bei ihm spielten unter anderem Charly Petri, Fred Ulatowski, Emil Mangelsdorff und Heiner Merkel.

Seine Tante Johanna Hönigsberg war nach dem Tod ihres Mannes (gest. 18. Dezember 1946) zurück nach Frankfurt gekommen und lebte im jüdischen Seniorenheim an der Gagernstraße. Johanna starb am 13. März 1966 in Frankfurt. Auch ihre Tochter Toni war 1949 zurück nach Frankfurt gekommen. Sie war mit Stefan Maas (geb. 28. August 1907 Bayreuth, gest. 4. Januar 1981 in Frankfurt) verheiratet. Das Paar blieb kinderlos. Toni starb am 12. Februar 2014.

Hans Berthold Gräf starb am 27. September 1981 in Frankfurt.

Am 20. Mai 2016 wurden vor dem Haus Bockenheimer Landstraße 69 zwei Stolpersteine für Dora und Hans verlegt.

Quellen: