Simon Tobias, der jüngste Sohn von Michael Tobias und Esther Kronenthal kam am 18. Juni 1857 in Altenkirchen zur Welt. Er heiratete am 5. Mai 1886 in Hofgeismar die Witwe Rebecka “Rosa” Rothschild, geb. Dannebaum. Sie hatte schon sechs Kinder aus erster Ehe mit Samuel Rothschild, und bekam mit Simon noch einen Sohn namens Siegfried “Fritz”, der am 16. August 1887 in Hofgeismar zur Welt kam. Simon war ein Händler und arbeitete später in Hamburg. Er war dort Inhaber oder Geschäftsführer von „Feddersen & Fraenkel“, einer Tuchwaren- und Taschentuch-Produktionsfirma. Simons Neffe Max Tobias machte zwischen 1908 und 1911 bei diesem Unternehmen eine kaufmännische Ausbildung. Simon starb am 2. Januar 1921 und ist auf dem Jüdischen Friedhof Ilandkoppel, Hamburg-Ohlsdorf beerdigt. Rosa starb 1934 in Schlüchtern, wo ihre Tochter Josephine Stern zu der Zeit lebte.
Fritz Tobias ging in Hofgeismar zur Schule und wechselte später aufs Friedrichs-Gymnasium in Kassel. Er studierte Medizin in Freiburg, Kiel, München, Berlin und Heidelberg. In Kiel leistete er einen freiwilligen Wehrdienst beim 85. Infanterie Regiment. 1910 schrieb er an der Uni Heidelberg seine Dissertation „über Riesensarkome der Sehnenscheiden mit einem kasuistischen Beitrag“ und wurde am 21. Juli 1911 als Arzt zugelassen.
In Heidelberg lernte Fritz seine zukünftige Frau Paula Sussmann kennen, eine der ersten weiblichen Medizinerinnen in Deutschland. Sie wurde am 15. Januar 1886 in Hamburg geboren. Paula und Fritz waren beide sehr sportlich und gingen gerne im nahen Schwarzwald wandern. Paula wurde im Juni 1912 approbiert und sie heirateten am 4. August 1912.
Paula und Fritz hatten eigentlich geplant, nach Namibia auszuwandern und an einem Krankenhaus in Windhuk zu arbeiten, aber Fritz‘ Mutter Rosa bat sie zu bleiben, weil schon drei ihrer Söhne in die USA ausgewandert waren. Also entschied sich das Paar eine Landarztpraxis zu eröffnen und zog nach Kreiensen im Harz.
Kurz nachdem sie ihre eigene Praxis eingerichtet hatten brach der Erste Weltkrieg aus, und Fritz ging zum Militär. Während der nächsten vier Jahre hatte er nur zwei Wochen Heimaturlaub pro Jahr. Also führte Paula die Praxis allein und zusätzlich noch ein Lazarett am Bahnhof von Kreiensen. 1917 entschied sie sich nach Delligsen, Holzminden zu ziehen, wo sie eine vakante Arztpraxis übernahm. Hier hatte sie mit einer schweren Influenza-Epidemie zu kämpfen.
Als Fritz nach dem Krieg zurück nach Hause kam nahm Paula sich eine Auszeit von der harten Arbeit der letzten Jahre, und sie gründeten endlich eine Familie. Ihr Sohn Johannes kam am 13. Dezember 1920 zur Welt und der zweite Sohn Gerd am 15. Februar 1923. Paula genoß das Mutter sein und Zeit für die Gartenarbeit zu haben. Sie assistierte aber weiterhin ihrem Mann und etablierte eine Mütterberatung in Delligsen. Die Tobias besaßen ein großes Haus, und Fritz kaufte sich einen Hanomag-Zweisitzer, der schnell zum Stadtgespräch wurde. Er schaffte außerdem für die Praxis ein Röntgen-Gerät an, was zu der Zeit ausgesprochen fortschrittlich war.
Trotz allem medizinischen Fortschritt konnten sie ihren Sohn Johannes jedoch nicht retten, der am 27. Oktober 1927 an einer Blutvergiftung starb. Diese hatte er sich durch eine kleine Verletzung beim Spielen am Bach zugezogen. Paula nahm dieser Verlust schwer mit, und ein paar Monate später entschlossen sich Fritz und Paula Delligsen zu verlassen. Im Sommer 1928 übernahmen sie die Landarztpraxis von Fritz‘ Schwager Max Stahl in Bevern, der sich zur Ruhe setzen wollte. 1932, als Gerd neun Jahre alt war, wurde er in Bevern getauft. Offensichtlich bewunderte Paula die Arbeit des örtlichen Pfarrers, aber vielleicht war es auch bereits eine Reaktion auf die Zunahme des Antisemitismus.
Als die Nazis die Macht übernahmen, erkannte Paula sehr schnell, dass alles, was sie für sich und die Gesellschaft erreicht hatten missachtet werden würde und es keinen Weg mehr gab, vollwertige Mitglieder der deutschen Gesellschaft zu bleiben. Die Diskriminierung war unmissverständlich, obwohl sich Paula dagegen zu wehren versuchte. Als Gerd gezwungen wurde, das Gymnasium in Holzminden zu verlassen, bereiteten sich die Tobias auf die Auswanderung vor. Im November 1935 fuhr die Familie nach San Francisco, wo inzwischen alle Halbgeschwister von Fritz lebten.
Fritz bekam in den USA die Erlaubnis wieder zu praktizieren, aber Paulas Examen wurden nicht anerkannt, und so arbeitete sie den Rest ihres Lebens als Krankenschwester. 1945 ließen sich Fritz und Paula scheiden. Fritz hatte in den 1950ern einen Schlaganfall und starb am 29. Juni 1962 in Honolulu. Paula starb am 13. November 1970 in Pacific Grove, Californien. Ihr Sohn Gerd James “Jim” Tobias wurde ebenfalls Mediziner. Er starb am 25. Juli 2013 in Saratoga, Californien.
Quelle: Wiebke Lohfeld, „Im Dazwischen – Porträt der jüdischen und deutschen Ärztin Paula Tobias“ (Wiesbaden 2003)
Stammbaum:
Generation 1
- Siegfried „Fritz“ Tobias (1887-1967) ∞ Paula Sussmann (1886-1970) Delligsen
Generation 2
- Simon Tobias (1857-1921) ∞ Rebecka „Rosa“ Dannebaum (1846-1934) Hofgeismar
Generation 3
- Michael Tobias (1802-1858) ∞ Esther Kronenthal (1824-1899) Niederwambach/Puderbach
- Salomon Dannebaum (1790-?) ∞ Edel Beilchen Rosenbaum (1802-1851) Großeneder, Höxter
Generation 4
- Tobias Herz (1758-1833) ∞ Täubchen Samuel (1774-1860) Oberdreis/Puderbach
- Joseph Moses Kronenthal (1795-1865) ∞ Johanna David (1796-1865) Dierdorf
- unbekannt
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